Die  Unbezähmbaren

Ausschnitt aus dem Buch – Teil 6

Damals – Anfang der Sechziger – als Paul das Gymnasium besuchte, trotz seiner anfänglichen Leseschwäche hatte er es zur Freude der Eltern dorthin geschafft, damals geschah es an einem Sonntagabend, dass Papas Augen sich sehnsüchtig verschleierten und er von früher zu erzählen begann, vom Großvater, dem Tuchfabrikanten aus Guben. Er habe zwei Juden, die als Verkäufer bei ihm angestellt waren bei der illegalen Ausreise geholfen.

„Toll“, sagte Paul. „wie schade, dass ich den nicht gekannt habe.“

„Damit hat er die ganze Familie gefährdet“, erklärte Papa.

„Wieso hältst du die Familie so hoch?“ fragte Paul. „Mein Lehrer – der Stäbler – er sagt, die Nationalsozialisten hätten nichts auf die Familie gegeben. Kinder hätten ihre eigenen Eltern verraten und du, Papa, warst du nicht auch in der Partei?“

Da brüllte der Vater.

„Was weiß denn der Stäbler? Der war ja noch ein Kind während des Krieges.“

Julia hielt sich die Ohren zu. Warum musste Paul ihn auch so reizen, den armen Papa? Der so viel arbeiten musste, von Montag bis Samstag, jeden Abend kehrte er spät nach Hause zurück und alles für die Familie, sah Paul das denn nicht?

Der wiederum hatte soeben „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers gelesen, nachts unter der Bettdecke mit Taschenlampe, weil es so spannend und grauenhaft zugleich war, dass er einfach nicht aufhören konnte.

Und jetzt wollte er stolz sein auf seinen unbekannten, verstorbenen Großvater, der zwei Juden gerettet hatte und somit keiner von den Nazischweinen war.

„Weißt du, was er noch gesagt hat, der Stäbler?“, erzählte Paul unbeirrt weiter. „Der Hitler sei als der größte Führer aller Zeiten bezeichnet worden, abgekürzt Gröfaz und er habe gesagt, die Deutschen, das sei ein Volk ohne Raum. Das sei seltsamerweise wahr geworden, anders als der Gröfaz es ursprünglich meinte, das Volk ohne Raum, das seien die Millionen Flüchtlinge, die aus dem Osten zugeströmt sind, so wie du   – Papa. Dann hat er gegrinst, der Stäbler und erklärt, manchmal besitze die Geschichte durchaus einen Sinn für Komik.“

Während Paul redete, hatte sich Papas blasse Haut in ein tiefes Rot verfärbt. Julia befürchtete er könne platzen.

„Der macht sich lustig über uns. Mit mir nicht. Diesen eingebildeten Schnösel  werde ich mir vorknöpfen. Verlass dich drauf“, brüllte er.

Seine Stimme kippte und Julia kletterte an ihm hoch und setzte sich auf Papas Schoß, schlang die Arme um seinen Hals und legte ihr Gesicht an seine rote Haut, die sich mit einem feuchten Film überzogen hatte. Sie hielt ihn fest, ließ sich nicht abschütteln, obwohl er es anfangs versuchte. Schließlich seufzte er, ließ sich zusammen mit der kleinen Tochter, die sich immer noch wie ein Äffchen an ihm festklammerte in den Sessel fallen. Lange Zeit saß er da. Still. So still, dass Mutti und Paul Angst bekamen.

Nur Julia war ruhig. Sie fühlte wie der feuchte Film auf seiner Haut trocknete, wie das Herz in ihm drin ruhiger schlug. Auch das ihre wurde langsam und träge und so schlief sie ein und wachte erst morgens wieder auf in ihrem Bett, in das der Papa sie gestern Abend gelegt haben musste.

                                                 ***

Nächste Woche Dienstag gibt es einen weiteren Abschnitt als Leseprobe, bevor es am 9. Mai endlich mit der Lesung so weit ist. Wer Lust auf die Lesung bekommen hat, sichert sich schnell seinen Platz.
Silvio Thieme: Mobil 0171/3308324 – Mail: Silvio.thieme@raa.sachsen.de

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